Immer höher. Diese Tour soll uns in der Vulkan-Landschaft Ecuadors auf drei 4000-er, zwei 5000-er und einen 6000-er führen.
MehrWandern und Philosophie? wtf 🙂
Pilgern vs. Wandern
Es ist nicht wichtig wie sich jemand bezeichnet, der zu Fuß unterwegs ist, allerdings mal interessant den Bezeichungen nachzugehen. Synonym verwendet werden Pilgern und Wandern auch heutzutage nicht, also wo liegt der Unterschied? Kann man das wortgeschichtlich herleiten? Von der Etymologie wird der Pilger meist hergeleitet als jemand der übers Land kommt (per agrum), aus der Fremde (per-egrē), ein Fremder (peregrinus). Als peregrini wurden alle Nicht-Staatsbürger in römischer Zeit bezeichnet, nur die wenigsten kamen über's Land. Diese Wenigen aber zog es in das blühende römische Reich, wie Einwanderer heute, derzeit meist zu Fuß, um ihr Leben zu ändern, möglichst verbessern. Nach Ausbreitung der großen Weltreligionen wurde der Begriff von den Glaubensgemeinschaften vereinnahmt. Speziell im Abendland war der Fremde, der übers Land kam, mittlerweile zum pelegrinus geworden. Er war nun einer, den es aus Glaubensgründen in die meditative Ruhe oder an einen heiligen Ort zog. Wandern als Selbstzweck oder gar um sein Leben abzubremsen, lag wohl weniger im Trend. Beiden gemeinsam ist die Absicht etwas am eigenen Leben zu ändern: mal aus wirtschaftlichen Gründen, mal aus Gründen der inneren Einstellung zum eigenen Sein. Der heutige Pilger hat andere, der Zeit angepasste Gründe. Er ist weder Bestandteil der großen Migrationsbewegungen aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen, noch muss er zwingend seinen Frieden in einer Glaubensgemeinschaft finden. Er sucht einen persönlichen Sinn, der ihm Halt gibt in der Komplexität des Alltags und dem Überangebot neuer Erkenntnisse und Entwicklungen. Diese ganz individuelle Suche soll den Geist befreien von unnützem Ballast, Klarheit schaffen über künftige Pläne. Aus dieser inneren Reinigung gewinnt man wieder Sicherheit, innere Ruhe, vielleicht sogar eine Art Glücksgefühl. Ja, und Laufen scheint das bewährte Mittel dafür. Pilgern und Wandern, beides ist wunderbar, keines geringer als das andere. Etymologisch nicht wirklich herzuleiten, könnte man die Begriffe zumindest derartig abgrenzen:
- peregrinus - Ein(wanderer) aus wirtschaftlichen Gründen
- pelegrinus - Wanderer aus Glaubensgründen
- Pilger - Wanderer zur Sinnsuche
- Wanderer - Wanderer aus eher gesundheitlichen, sportlichen, sozialen Aspekten oder einfach zum (Natur)-Genuss
Die Einstellung zum Weg
Der Absicht zur Sinnsuche allein macht den Pilger-Begriff noch nicht vollständig, die Art und Weise, wie man einen Weg bestreitet, entscheidet mit. Man kann z.B. mit der Absicht sein Leben mit Sinn anzureichern irgendwie die letzten 100 km Camino frances ableisten, sich überall den Stempel reindrücken lassen und am Ende die Compostella abholen. Dann war's die richtige Absicht, aber der falsche Weg. Ist keineswegs negativ gemeint, aber man war halt mehr Tourist als Pilger. Und die Absicht wird sich kaum erfüllen, es war alles so wie die Urlaube vorher, nur woanders. Der Pilger geht auf dem Weg seine Absicht an. Bedeutet konkret: etwas anders machen als im Alltag, wo sich Stress- und Komfort-Zone die Klinke in die Hand geben. Mehr Bewegung, mehr Verzicht, mehr Ruhe, alles langsamer denken und angehen. Im optimalen Fall sollte man sich nur noch Gedanken um die niedrigsten Bedürfnisse machen: Wann und wo esse ich? Wo werde ich schlafen? Komme ich sicher an? Ja, auch eine gewisse Unsicherheit sollte dabei sein, damit eben diese einfachen Gedanken die Oberhand behalten. Denn nur dann stellt sich Ruhe ein im Hirn, hier und da steigen neue Gedanken aus den Tiefen der grauen Masse. Und abends sollte man vom ordentlichen Wegstück müde sein, alles dreht sich nur ums Duschen, Essen, Trinken, Schlafen. Diese Dinge sollte man dann genießen, sich belohnen, damit man die Entbehrungen durchhält. Jetzt ändert sich was, natürlich nicht die ersten Tage 🙂.
Sinnsuche - Wie jetzt genau?
Erstmal sollte der weite Begriff Sinn auf den philosophischen Begriff begrenzt werden. Jetzt muss man sich weiter entscheiden: Sucht man den Sinn seines eigenen Lebens oder den Sinn in Allem? Für den Sinn im eigenen Leben müsste man eingrenzen auf Sinn als Bedeutung und Ziel (des eigenen Lebens). Für den Sinn in Allem beschäftigt man sich mit dem metaphysischen (letzter Grund für Alles) oder teleologischen (letztes Ziel für Alles) Sinn. Egal welchen Sinn man sucht, zahlreiche kluge Leute haben dicke Bücher verfasst und Vorschläge gemacht. Ein wichtiger Gedankengang darin ist es, dass wir nur zwanghaft versuchen allen Dingen einen Sinn zuweisen zu müssen. Der Sinn an sich existiert nicht. Dennoch bleibt vieles unklar, weil der Begriff Sinn so vage ist. Wenn er nun nicht 42 ist wie im Roman Per Anhalter durch die Galaxis oder die Frage danach zum ewigen Scheitern verurteilt ist wie im Monty Python Film, warum boomt die Sinnsuche exponentiell?
Ich unterstelle mal, dass in Zeiten der expressiven Selbstverwirklichung kaum einer für den philosophischen Sinn-Begriff die Wandersachen packt 🙂. Doch wohl eher um aus einem persönlichen Hamsterrad auszubrechen: langweilige Routinen, Informationsflut, Zeitdruck, Erfolgszwang, sich darzustellen oder gar zu behaupten zu müssen. Der ewige "Schwanz-Vergleich" hat in der Evolution sicher Vorteile gebracht, persönliches Glück eher seltener. Oft bedarf es dann eines letzten Auslösers um das komplette eigene Weltbild infrage zu stellen: Burnout, Krankheit o.a. Die Sinnsuche beginnt, die Suche nach einem neuen Lebensentwurf mit dem man sein Leben entspannter fortführen kann. So könnte man den Sinn als innere Einstellung zu sich selbst verstehen. Was will ich? Nicht meine Nachbarn oder Follower. Muss ich mich behaupten und darstellen oder reicht es, wenn ich mit mir zufrieden bin? Ist es überhaupt so wichtig, wer ich bin und was ich mache, welche Rolle spiel ich denn im Weltgefüge? Ich hab meine neue Einstellung auf dem Fundament der Demut gebaut, Demut vor dem Zufall, dass ich jetzt hier lebe, Demut vor der Tatsache dass sich in 100 Jahren keiner mehr an meine Person erinnert. Demut vor der Zeit, Demut vor den übermächtigen Dingen um mich herum. Immer wieder mal schießt das Ego oder der Ehrgeiz über das Ziel hinaus und man gerät unter Stress. Dann setze ich mich in Gedanken in mein kleines Raumschiff in der Milchstraße und versuche den Planeten zu erkennen, auf dem ich lebe. Er ist zu klein, zudem vergänglich. Meine eigene Wichtigkeit relativiert sich wieder. Wenn der Sinn im philosophischen Sinne ungeklärt, der bescheidene Sinn meines Lebens aber unwichtig und vergänglich ist, warum schreibe ich dann hier gerade etwas? Weil es mir jetzt gerade Spaß macht 🙂.